Ist es vielleicht ganz einfach, ein glückliches Leben zu führen?

Ist ein glückliches Leben zu führen vielleicht ganz einfach?

Alles was in unserem Leben auftritt wird gleichermaßen auch bewertet. Die Einspeicherung des Ereignisses als dies oder das, positiv oder negativ in unser bewusstes oder auch unbewusstes Erinnerungssystem wird verstärkt durch die emotionale Lage, in der wir ein Ereignis erleben. Dies hat eine biochemische Entsprechung in uns, wird also gewissermaßen manifestiert.

Aber auch die Tendenz, ein Ereignis eher positiv oder negativ zu bewerten, kommt schon aus unserem Erinnerungsspeicher, aus unzähligen zuvor gemachten Bewertungen.

Durch die ständige Bewertung der Ereignisse in unserem Inneren entsteht mehr und mehr eine bestimmte Tendenz, der Welt und den Ereignissen zu begegnen. Jemand, der eher in eine depressive, frustrierte Richtung geht, wird auch eher Mängel in den Ereignissen sehen. Jemand der weltoffen ist, Vertrauen entwickelt hat, nicht so sehr an diesem oder jenem anhaftet und mit Resilienz ausgestattet ist, wird Ereignisse viel positiver bewerten und auch in nicht positiv erscheinenden Ereignissen Positives herausziehen können.

Wir schauen also immer durch den Filter einer inneren Kruste früherer Bewertungen auf das Gegenwärtige. Diese innere Kruste kann dichter oder offener sein, wirkt aber immer als Filter.

Schon Krishnamurti sprach ja oft davon, dass wir nur ständig unsere Vergangenheit in die Gegenwart hinein inszenieren. Die Wirk-lich-keit – wie sie ist, ist uns durch diesen allgegenwärtigen Filter nicht zugänglich. Sie ist uns schon deshalb nicht zugänglich, da das was wir wahrnehmen oder sagen wir lieber für wahr Nehmen, nicht das ist, was da ist. Was gegeben ist, kann niemand genau sagen, weil unsere Sinnesorgane nur Reize aufnehmen, die im Gehirn erst zu dieser Welt wie wir sie wahrnehmen oder eben für wahr Nehmen umgebaut wird. Die Welt entsteht so gesehen erst in unserem Kopf, doch wie sie wirklich ist, vermögen wir nicht zu erfassen. Da es nur Reize sind, die sich zu einem Bild zusammensetzen wird ersichtlich, wie sehr sich Früheres für wahr Genommenes in dieses Zusammensetzen eines Bildes einmischen kann.

Es kursiert z.B. diese Geschichte, dass Indios die Schiffe der Konquistadoren, als sie zum ersten mal an ihren Küsten auftauchten nicht sehen konnten, weil sie so etwas zuvor nie gesehen hatten.

Oder ein Zitat hierzu von Candence Pert aus ihrem Buch „Moleküle der Gefühle“, in dem sie ihre Arbeit zur Entdeckung der Funktionen der Neuropeptide beschreibt (dieses bahnbrechende Werk wurde nicht nur wichtig für die neuen Erkenntnisse auf dem Gebiet der Biochemie im Gehirn sondern für das Verständnis unseres gesamten sozialen Verhaltens):

„Unsere Wahrnehmung der Außenwelt wird in sensorischen Schaltstationen gefiltert, die reich an Peptidrezeptoren sind und alle ihre emotionale Schattierung haben. Wie sollen wir da objektiv feststellen, was wirklich ist und was nicht? Wenn das was wir als wirklich wahrnehmen, entlang eines Gradienten aus früheren Gefühlen und Lernaufgaben gefiltert wird, dann lautet die Antwort, dass es unmöglich ist. Glücklicherweise sind Rezeptoren nicht unveränderlich, das heißt, sie können sich sowohl in Hinblick auf ihre Empfindlichkeit verändern wie auch im Hinblick auf ihre Konfiguration mit anderen Proteinen in der Zellmembran. Selbst wenn wir uns emotional „festgefahren“ haben, wenn wir auf eine Version der Wirklichkeit fixiert sind, die uns nicht besonders dienlich ist, gibt es immer eine biochemische Möglichkeit für Veränderung und Weiterentwicklung.“

Dass es eine biochemische Veränderungsmöglichkeit gibt, sollte uns zuversichtlich stimmen. Die Biochemie reagiert natürlich auf unsere inneren Haltungen und deshalb gilt es zuerst, diese zu verändern bzw. zu öffnen.

Wenn wir zusammenfassen sehen wir, dass wir durch die eingeschlagene Richtung von Bewertungen mit der Zeit eine Tendenz entwickeln, Ereignisse zu bewerten. Diese Tendenz fließt auch in unsere Erwartungen, was uns das Leben bringen mag. Und diese Erwartungen arrangieren wir, da wir uns ja an sich schon innerlich darauf vorbereitet haben. Diese Arrangement bekommen wir leichter hin, weil wir ja in unserem für-wahr-Nehmen auch auf unser bisheriges Reservoir aus eingespeicherten Bewertungen zurückgreifen können. Das was wir meinen wahr-zu-nehmen ist tatsächlich eine wahr-Gebung als Projektion unserer Erwartungen. Wir versuchen damit unser Leben sicherer und berechenbarer zu machen, z.B. auch dadurch, dass wir innere Muster durch unsere Lebenskreisläufe immer wieder bestätigen wollen. Die Vorstellung, dass alles unfassbar und offen ist, ist uns ein Graus und so schaffen wir uns eine greifbare rationale Welt, um uns an etwas festhalten zu können. So leben wir in Kreisläufen, die immer wieder Altes reinszeniert.

Das Leben wird scheinbar greifbarer aber auch leerer. Dies kann zu körperlichen, psychischen oder sozialen Problemen führen. Wir werden unzufriedener, unerfüllter, leerer.

Damit in positiver Weise „neue Lebenkreisläufe“ öffnende Erfahrungen zugelassen werden können, bestehen bestimmte Voraussetzungen:

Zum Ersten: Ein Bewusstsein über meine Bewertungstendenz und die daraus resultierende Erwartungshaltung.

Zum Zweiten: Eine deutliche Bereitschaft, “neue“ und „verwandelnde“ Erfahrungen zuzulassen.

Da wir ja unser Leben wie beschrieben selbst arrangieren, werden solche Ereignisse auftreten, sobald ich Mut genug habe, sie in mein Leben treten zu lassen. Dazu gehört auch der Mut, etwas von seinem Sicherheitsbedürfnis, welches ja in die mehr oder weniger starren Lebenskreisläufe eingeflossen ist, aufzugeben.

Oft ist es auch eine Krise oder ein Symptom oder eine Stagnation im Leben, die wir feststellen und verändern wollen.

Andererseits scheint es manchmal „Wunder-volle“ Ereignisse zu geben, die scheinbar von „Außen“ auf uns zu kommen, um uns wachzurütteln und um uns aus unseren Lebenskreisläufen zu bringen, in dem einen oder anderen Muster doch umzudenken oder mehr Vertrauen zu entwickeln. Ich lerne unerwartet jemand kennen und es kommt zu einer intensiven Romanze oder Beziehung. Ich melde mich „zufällig“ bei einem Seminar an, das mein Leben verändert oder ich bin zutiefst berührt von einem Ereignis, das mich zurückführt zum Wesentlichen, oder ich erfahre unerwartet Hilfe, Zuneigung, Sympathien. Aber auch in solchen Fällen gehe ich davon aus, dass jemand zumindest unbewusst die Möglichkeit in sich geschaffen hat, dass solcherlei Erfahrungen auftreten können.

Für mich ergibt sich aus alldem ein Bild, bestätigt durch meine permanente Erfahrung in der therapeutischen Arbeit, dass was unsere Wirklichkeit angeht es nur ein sehr offenes Grundmuster „fester“ Bedingungen gibt, das eine riesige Offenheit der persönlichen Ausgestaltung zur Verfügung stellt. Zu diesen „festen“ Bedingungen mögen solche Dinge wie essenzielle Lebensgesetzmäßigkeiten zählen oder Kindheitsprägungen, Lebensumstände in der Kindheit (Grundbedingungen wie z.B. Armut oder Wohlstand) oder Vorkommnisse im Familiensystem. Jedoch sind diese bis auf die Lebensgesetzmäßigkeiten in anderen Kriterien auch nicht „fest“, da ich in einer mich hindernden oder in einer mich befreienden Art und Weise damit umgehen könnte, indem ich nicht an den Erfahrungen festhalte und vertrauensvoll und positiv gestimmt bleibe, aus einem Kontakt mit dem Wesentlichen, den ich mir erhalten habe.

Genau das wäre ja die Möglichkeit, mich nicht von früheren Bewertungen und Erfahrungen, an denen ich festhalte, fernsteuern zu lassen. Denn wenn wir zusammenfassen sehen wir, dass wir uns einen Level an Glück oder Frustration aus dem Grundlevel unserer Tendenz, Ereignisse zu bewerten, erschaffen. Das Interessante dabei ist, das der Grundlevel der Tendenz, Ereignisse zu bewerten, leicht zu verändern wäre.

Im tibetischen Zufluchtsgebet, das im Vajrajana vor Meditationen rezitiert wird, heißt es im 2. Absatz: „Mögen alle Wesen verbunden sein mit Glück und den Ursachen des Glücks, mögen sie getrennt sein vom Leid und den Ursachen des Leids. Mögen sie in Gleichmut verweilen ohne Anhaftung an Bekanntes oder Ablehnung von Unbekannten.“

In dieser Sadhana wird in einfacher Weise genau das in Verbindung gebracht, um das es hier geht: „Die Ursachen des Glücks“ sind auf die einfachste Formel gebracht – die Offenheit, sich dem Unbekannten auszusetzen aus der Erkenntnis heraus, dass es genau genommen gar kein „Bekanntes“ gibt, außer der Illusion, die ich selbst geschaffen habe.

Dass es das „Bekannte“ gar nicht gibt, könnte natürlich Angst machen und wieder zu Festhalten führen, wir könnten aber auch die enorme Chance erkennen, dass wir unser Glück selbst gestalten können. Es geht dabei ja nicht darum, alles was wir für das „Bekannte“ halten über Bord zu werfen. Es ist ein Reifungsprozess, der Stück für Stück von selbst eintritt, wenn wir es zulassen. Fürs erste reicht es völlig, sich um seinen persönlichen Grundlevel der Tendenz, Ereignisse zu bewerten zu kümmern und sich die Erlaubnis zu geben, offener, vertrauensvoller und positiver zu werden und mehr in Verbindung mit dem Wesentlichen zu gehen. Auf diese Weise könnte der Rahmen, in dem ich die Ereignisse sehe und bewerte freundlicher, farbiger, entdichteter werden. Gehe ich bewusst in diese Richtung, wird sich automatisch der Grundlevel der Tendenz, meine Ereignisse zu bewerten verändern. Offenheit ist hier eine zentrale Fähigkeit, die zu Erfolg führt. Es ist auch eine Fähigkeit, die innere Freiheit gewährt, weil ich mich nicht auf Deutungen einlassen muss, die mir meine innere „Kruste“ meiner Filter diktiert. Ich möchte dazu eine schöne Geschichte von Dan Millman (Der friedvolle Krieger) erzählen. Ich erzähle sinngemäß:

„Es war einmal ein Mann in einem Dorf, dem ein wunderschönes, einzigartiges Pferd zulief. Da kamen die Dorfbewohner und beglückwünschten ihn zu diesem großen Glück, bewunderten das Pferd und stellten immer wieder heraus wie sehr der Mann vom Glück begünstigt sei.

Der Mann sagte jedoch nur nüchtern: „Ist es gut, ist es schlecht, wer weiß das?“

Andern Tags war das schöne Pferd wieder weggelaufen und nun kamen die Dorfbewohner, um den Mann zu trösten in seinem vermeintlichen Leid und sagen was für ein Unglück, was für ein Verlust, wie schrecklich und ähnliches. Doch der Mann sagte wiederum nur: „Ist es gut, ist es schlecht, wer weiß das?“

Den Tag darauf kam das Pferd aber wieder und brachte noch viele seiner Sorte mit. Nun waren die Dorfbewohner wieder aus dem Häuschen, und priesen die Fortune des Mannes über alles. Doch der erwiderte immer nur: „Ist es gut, ist es schlecht, wer weiß das?“

Nun, am darauf folgenden Tag versuchte sich der Sohn des Mannes damit, eines der Pferde zuzureiten, doch er fiel herab und brach sich ein Bein. Die Dorfbewohner kamen und bedauerten Vater und Sohn obgleich dieses bösen Unfalls, doch wir wissen schon, was der man sagen wird, nämlich: „Ist es gut, ist es schlecht, wer weiß das?“

Noch einen Tag weiter und es erschienen die Häscher des Königs und nahmen alle jungen Männer mit, um im Krieg für den König zu kämpfen, alle bis auf einen. Was meint Ihr sagte er?“

Dieser Mann, von dem hier die Rede ist hatte die Größe, sich der Bewertung zu verwehren, aus der tiefen Erkenntnis heraus, dass man Ereignisse nicht labeln kann. Man weiß einfach nicht, wohin es führt und wenn ich es nicht weiß, warum sollte ich an etwas anhaften und meine Lebensqualität reduzieren?

Wir sehen, eine derartige Offenheit kann uns zu einem weit glücklicheren Leben führen. Auch sehr schwierige oder schwere Lebensumstände sind es nicht an und für sich. Jede Situation ist zuerst einmal neutral, ist nur das was sie ist. Jeder Situation liegt ein Sinn inne, ist ein Spiegel oder manchmal auch eine Herausforderung, an der ich wachsen kann, wenn ich die Chance nütze und erst einmal offen schaue, statt zu urteilen.

Es gibt nichts, dem ich nicht einen positiven Rahmen geben könnte (ohne mir etwas einzureden, einfach durch die Offenheit nicht gleich zu werten, nach dem Motto: Ist es gut, ist es schlecht, wer weiß das?).

Mit etwas Übung liegt es in meiner Entscheidung, in welchem Rahmen ich ein Ereignis erkenne. Der Sinn dieses Artikels ist, zu vermitteln, dass es ganz und gar gewiss ist, den Rahmen selbst zu bestimmen, weil wir es unausgesetzt tun doch oft ohne es zu merken.

Wir alle geben ständig den Ereignissen Rahmen, die je nach unserer Grundtendenz positiver oder negativer sind. Dieser Rahmen war vorher schon da. Einer neuen Situation wird ein alter Rahmen gegeben. Ohne Rahmen ist jedes Ereignis weder positiv noch negativ. Der Rahmen gibt quasi die Farbe, dem emotionalen Gehalt dazu, welcher es wieder im biochemischen Erinnerungssystem manifestiert.

Die Lösung des ganzen ist ganz einfach. Sie liegt einfach in der tiefen und gesicherten Erkenntnis, dass ich nichts über ein Ereignis weiß, wenn es auftritt. Ich könnte sozusagen mit neugeborenen Augen auf das Ereignis schauen und es sich von selbst entpuppen lassen, statt voreilig mit einer Deutung zu kommen. Natürlich sind wir keine Neugeborenen mehr und es wird sich zu jeder Situation zuerst ein Rahmen anbieten. Doch ich könnte (durch etwas Übung) wachsam geworden sein und nehme ihn einfach nicht. Oder ich wende (auch durch etwas Übung) einen positiveren Rahmen an, der mir erlaubt, das was das Ereignis an Gehalt und/oder Botschaft hat, nehmen zu können. Das Wachstum könnte sich durch diese Herangehensweise Stück für Stück einstellen, da man unabhängig von äußeren Umständen wird, weil wir uns keine Deutung mehr aufzwingen lassen. Wenn ich einen guten Rahmen habe – möge erscheinen was immer da kommen will oder soll – es wir mich in keine Richtung mehr einfangen können. Ich wünsche allen von ganzem Herzen (die die Ausdauer hatten diesen trockenen Artikel bis zum Schluss zu lesen), dass sie einen freundlichen Rahmen für alle auftauchenden Ereignisse aus ihrer Herzenskraft heraus entwickeln, um für immer in ihrer Mitte, ihrem Gleichmut zu verweilen. Doch ob es wirklich hilfreich sein kann, was ich schrieb oder nicht viel sagt, wer weiß das schon?

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